Das deutsche Bundesverfassungsgericht hob kürzlich in einem Urteil (siehe z.B. https://www.sueddeutsche.de/panorama/prozesse-bundesverfassungsgericht-kippt-harte-hartz-iv-sanktionen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-191104-99-579243) Teile der „Hartz-IV-Sanktionen“ auf – ein interessantes, ein wichtiges Urteil. Die brennende Frage an die österreichische Politik ist, ob die in bestimmten Bereichen noch härteren Sanktionen in Österreich bei der Mindestsicherung nicht dringend überdacht werden sollten.
Das deutsche Höchstgericht sieht das „menschwürdige Existenzminimum“ durch Hartz-IV-Strafen gefährdet. Mit dem Grundgesetz sind 60%ige und 100%ige Bezugskürzungen nicht vereinbar – so das Gericht.
Insbesondere den Zeitraum von drei Monaten, in denen die Kürzung bestehen bleibt, selbst wenn die Betroffenen wieder ihrer „Mitwirkungspflicht“ nachkommen, hielten die Höchstrichter*innen für nicht verfassungskonform. Allerdings, die abschreckende Wirkung von Sanktionen hielt das Gericht für effektiver als „mildere Mittel“ und unterstützt damit die Erzählung von den faulen Arbeitslosen, die nur einmal einen Anschieber brauchen. Dieses Klischee, das auch gerne von Medien bedient wird, ist tausendfach in der Praxis widerlegt worden und dies kann sogar wissenschaftlich belegt werden.
Herbert Fuxbauer, Bezirksrat in spe in der Josefstadt: “Sinnlose Sanktionen und Schikanen gibt es leider auch in Wien – und SPÖ-Funktionäre beklatschen dies teilweise sogar. Wir sagen `Schluss damit!'”.
Fuxbauer verweist auf einen Bericht im gestrigen Standard, in dem festgehalten wird: “Im ersten Halbjahr 2019 hat das Arbeitsamt insgesamt 71.634 Sanktionen gegen Bezieher von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe verhängt. Das ist um 17 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2018. Dabei war die Zahl der Sperren von Versicherungsleistungen schon im vergangenen Jahr deutlich angestiegen.”*
Fuxbauer weiters: “Wir haben schon 2015 in unserem Wahlprogramm kritisiert, dass hunderttausende Menschen, vielfach trotz Erwerbsarbeit, in Wien in Armut leben oder sind armutsgefährdet. Als Schritt auf dem Weg zu einem Bedingungslosen Grundeinkommen, so unsere Forderung, ist die garantierte Mindestsicherung über der Armutsgrenze auszuzahlen und weitere Transferleistungen wie die Mindestpension sind entsprechend zu erhöhen.“
Was heißt hier „arbeitslos“?
Die Arbeitslosigkeit ist ein Kampf der auch um Worte geführt wird. Der Begriff „Arbeitslose“ ist hier das erste und beste Beispiel. Die meisten Arbeitslosen arbeiten nicht selten sogar sehr viel, nur wurde über sie ein „Erwerbsverbot“ verhängt. Das, was sie tagtäglich tun und tun müssen, wird ihnen einfach nicht entlohnt. Eine kapitalistische Gesellschaft unterscheidet erbarmungslos zwischen angeblich „wertvoller“ und gut bezahlter Arbeit, wie beispielsweise dem Verwalten von Hedgefonds-Portfolios und „wertloser“ Arbeit, wie der Pflege von Angehörigen.
Wien wird von einer Koalition aus SPÖ und Grünen regiert. Relativ willenlos vom Boulevard vor sich her getrieben, entschieden sich die beiden Parteien mehrfach zu einer Verschärfung der Mindestsicherung, obwohl diese den immer wieder betonten Grundprinzipien beider Parteien zu Gerechtigkeit und sozialem Ausgleich widerspricht.** Wer in Wien bei der Stellensuche, ein „allgemeines Misstrauen gegen Unternehmen“ zeigt oder gar bessere Arbeitsbedingungen fordert, kann die Bezüge für 6 oder 8 Wochen komplett gestrichen bekommen. Dies geschah selbst in Fällen, in denen die Stellensuchenden gesetzeswidriges Verhalten ihrer zukünftigen Arbeitgeber*innen erkannten. Zudem werden die Betroffenen in Kursen geparkt, deren Sinnlosigkeit für KursteilnehmerInnen und KursleiterInnen teilweise quälend ist. Die dabei entstehende psychische Pein scheint intendiert zu sein. Den „Arbeitslosen“ und damit auch den ArbeitnehmerInnen die noch in Beschäftigungsverhältnissen sind, soll gedroht werden. Wer seine Arbeit verloren hat, der oder dem drohen erniedrigende Zwangsmaßnahmen.
Wien ANDAS kämpft gegen Arbeitszwang
Mit Sanktionen wird eine Abwärtsspirale ausgelöst, bei der Menschen in immer schlechtere und schlechter bezahlte Arbeit gedrängt werden. Eine menschenfreundliche und humane Politik würde danach trachten, dass sich die Arbeitsplätze nach den ArbeitnehmerInnen zu richten haben und nicht immer und ausschließlich nur umgekehrt. Jeder Mensch verfügt über Fähigkeiten die der Gesellschaft nützlich sein können. Es ist nicht einzusehen, dass sich die Politik zur Erfüllungsgehilfin wirtschaftlicher Interessen macht und seine BürgerInnen zu schlechtbezahlten und unsinnigen Arbeiten zwingt.
Die Stadt Wien, so Fuxbauer, soll kostenlose Arbeitslosen- und SozialanwältInnen zur Verfügung stellen, damit Betroffene ihre Rechte einfacher und besser schützen können.
Weitere Forderungen von Wien ANDAS sind:
Die Gemeinde Wien als Arbeitgeberin geht mit gut Beispiel voran und verkürzt die Arbeitszeit auf 30 Stunden bei vollem Lohnausgleich.
Die Stadt Wien soll keine Leiharbeitsfirmen mehr beauftragen und keine Tätigkeiten mehr privat auslagern; Aufträge der Stadt nur an Unternehmen, die gesellschaftlich verantwortlich agieren
Allgemeiner Zugang zum Arbeitsmarkt für Flüchtlinge und ZuwandererInnen
* https://www.derstandard.at/story/2000110717929/ams-sperrt-deutlich-oefter-arbeitslosengeld-und-notstandshilfe
** https://archive.wienanders.at/das-gegenteil-von-gut-ist-gut-gemeint-die-neue-wiener-mindestsicherung/