In seinem Beitrag „Sozialdemokratie kann Griechenland helfen – und sich selbst“ fordert Markus Marterbauer die europäische Sozialdemokratie auf, eine vermittelnde Rolle zwischen der linken Regierung in Griechenland und den konservativ-neoliberalen Regierungen in Europa einzunehmen. Sein Hauptargument: Andernfalls drohe ein Erfolg des Rechtsextremismus mit verheerenden Folgen. Doch so einfach kann und darf es sich die Sozialdemokratie nicht machen, meinen Martin Birkner und Sebastian Reinfeldt.
Es ist schon ein erstaunliches taktisches Manöver, wenn plötzlich die Sozialdemokratie in Europa zwar nicht auf der anderen Seite der Barrikade steht, aber doch irgendwo zwischen den Fronten, als diskursiver Kugelfang zwischen Neoliberalismus und radikaler Linken sozusagen. Nicht nur die Bevölkerung in Griechenland und Spanien, auch die „arbeitenden Menschen“ müssten dazu nämlich vergessen, dass die wesentlichen neoliberalen Reformen in Europa von Sozialdemokrat_innen durchgesetzt und durchgeführt worden sind. Die so genannten Arbeitsmarktreformen in Deutschland (bekannt als Hartz IV) werden ja bis heute als Modell für Griechenland vorgeschlagen. Der damalige sozialdemokratische Kanzler hieß Gerhard Schröder, und sein Regierungspartner war übrigens nicht die Merkel-CDU, sondern die Grünen.
Neoliberalismus: ein sozialdemokratisches Projekt
Für Österreich bleibt überdies festzuhalten, dass sämtliche Sparprogramme für Griechenland und Spanien und für weitere Länder (als Bedingungen für die Banken-Rettungsprogramme) von der SPÖ im Nationalrat mit beschlossen wurden und zumeist unter Regierungsverantwortung der Partei eingebracht worden sind. Nicht nur, dass sie damit das soziale Elend in den Ländern mit verantwortet: Der Neoliberalismus in Europa war (und ist) auch ein sozialdemokratisches Projekt. Ein Abschied von diesem Paradigma ist in keiner der europäischen sozialdemokratischen Parteien in Sicht, und so stehen diese Parteien – wenngleich auch in unterschiedlichem Ausmaß – der Möglichkeit eines Bruchs mit der EU-Austeritätspolitik im Wege. Wir sehen hier keinerlei Anzeichen einer wirklichen Kräfteverschiebung innerhalb der Sozialdemokratie. Für sie gilt – trotz des zunehmenden Bedeutungsverlustes ihrer europäischen Parteien – nach wie vor: TINA, there is no alternative.
Weil die Sozialdemokratie sich bürokratisch an diesem Paradigma festklammert, eröffnet sich ein Vakuum im politischen Raum. Diese Leerstelle kann sowohl von sozialen Bewegungen und Basisinitiativen als auch von (neuen) linken Parteien gefüllt werden kann: So ist es in Griechenland passiert, und so wird es in Spanien passieren. Wenn sich jedoch keine linke Kraft mit gesellschaftlicher Bedeutung entwickelt, droht dieses Vakuum von rechts besetzt zu werden. Aus diesem Dilemma führt die vorgeschlagene Mittelstellung nicht heraus, sie deckt es nur zu. Eine neue Rolle in Europa ist für die Sozialdemokratie um so einen billigen Preis nicht zu haben. Es müsste vielmehr eine radikale Neupositionierung und in der Konsequenz eine Art Neugründung, im Rahmen eines offenen Prozesses der Neuzusammensetzung unterschiedlichster progressiver Kräfte, erfolgen. Ob und inwiefern Teile der „alten“ Sozialdemokratie in einem derartigen Prozess eine wichtige Rolle spielen, ist nicht abzusehen. Die Tatsache, dass sich eine zukunftsträchtige Linke von den zentralen Paradigmen der ArbeiterInnenbewegung des 20 Jahrhunderts, dem Wachstums- und Lohnarbeitsfetisch, verabschieden wird müssen, stimmt uns dahingehend nicht gerade optimistisch.
Kein kleineres Übel
Die europäische Politik in der Krise hat gezeigt, dass im Rahmen von TINA kein Platz für ein „kleineres Übel“ ist. Für Österreich möchten wir die These wagen, dass gerade das jahrelange Festhalten am „kleineren Übel“ eher der Nährboden für den Aufstieg der radikalen Rechten denn ein Bollwerk dagegen war – und ist. Ein glaubwürdiges linkes Projekt des 21. Jahrhunderts muss in Form und Inhalt mit den Vorstellungen des 20. Jahrhunderts brechen: mit bevormundender Stellvertreter_innenpolitik, mit blinder Wachstumsorientierung auf Kosten der Umwelt, und mit der Überhöhung von (Lohn-)Arbeit als Selbstzweck. Bei Strafe des Untergangs in die Bedeutungslosigkeit führt kein Weg daran vorbei, Seite an Seite mit den neuen Linksparteien und Basisbewegungen, dem politischen Projekt der Kürzungspolitik in Europa den Kampf anzusagen. Das können nur wir selber tun.
Martin Birkner ist politischer Theoretiker und Aktivist. Er leitet die Edition kritik & utopie im mandelbaum verlag.
Sebastian Reinfeldt ist Politikwissenschaftler und Betriebsrat in einer Erwachsenenbildungsfirma.
Sie sind aktiv bei „Wie wollen es anders – Plattform der Unabhängigen“ und Teil der sich in Gründung befindenden Wahlallianz „Wien anders“.