Das AMS macht Jagd auf Menschen in Partnerschaften und AK und ÖGB lassen Arbeit suchende Arbeitnehmer*innen wieder in Stich.

Stögers Weihnachtspaket für Arbeitslose: AMS darf mit Verknüpfungsanfragen Jagd auf vermeintliche Partnerschaften und Grenzgänger machen

Martin Mair, Obmann Aktive Arbeitslose Österreich

Wer geglaubt hat, dass unter dem neuen Bundeskanzler Christian Kern und dem neuen Sozialminister Alois Stöger wieder einmal eine „letzte Chance“ auf eine grundlegende Änderung in der Sozialpolitik ergriffen wird, wurde in den vergangenen Tagen nicht zum wiederholten Male enttäuscht und mit einer besonderen Weihnachtsüberraschung „beglückt“:

Am 25.10.2016 sandte das Sozialministerium einen Regierungsentwurf[1] aus, bei dem es vordergründig um die Fortführung der Kurzarbeitsbeihilfe ging, weshalb die Begutachtungsfrist auf nur 2 Wochen angesetzt wurde; als wäre das ein völlig unvorhersehbares Ereignis gewesen. Dank Eilzugtempo wurde diese Novelle am 20.12. endgültig vom Bundesrat abgesegnet, womit die SPÖ den Arbeitslosen noch knapp vor Weihnachten ein faules Ei legte. Die von Sozialminister Alois Stöger in der Tiroler Tageszeitung am gleichen Tag publizierte Beteuerung, die SPÖ habe erkannt, „dass Ängste der Menschen nicht mit neoliberaler Politik reduziert werden können”[2] entpuppt sich somit als reine Show.

Was wohl eher auf die Schnelle durchgepeitscht werden sollte, ist nämlich eine kurze Änderung zum Arbeitslosenversicherungsgesetz am Ende des Regierungsentwurfs: Um nicht näher erläuterten „missbräuchliche  Inanspruchnahme von Leistungen“ zum bekämpfen, sei es notwendig, nicht nur die Daten der Antragsteller selbst sondern aller im Haushalt gemeldeter Personen zu bekommen, weil so „ sowohl  Scheinwohnsitze in Österreich wie auch (verschwiegene oder bestrittene) Lebensgemeinschaften leichter überprüft und aufgedeckt werden können.“ So weit so kurz, auch in den gesetzlich vorgeschriebenen Kostenfolgeabschätzungen sind keine weiteren Angaben zu finden. Warum ein alt bekanntes Phänomen nun so rasch durchgeboxt wurde und wer oder was der Anlass dazu ist, geht nirgends hervor. Und laut Gesetz muß interessanterwesie die Regierung nur die Auswirkung auf den Staatshaushalt aber nicht auf das rechtsunterworfene Volk abschätzen!

Kurzer Widerstand aus dem Bundeskanzleramt

Einzig der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts meldete sich als offizielle Stelle mit einer kritischen Stellungnahme[3] zu Wort. Neben der kurzen Begutachtungsfrist, die einem Rundschreiben des Kanzleramts aus dem Jahr 2007 widerspricht, verwies er auf seine Stellungnahme aus dem Jahr 2008, wo er bereits darauf hinwies, dass eine Verknüpfungsanfrage, durch welche die anfragende Stelle die Daten über alle in einem Haushalt gemeldeten Personen und so „einen unmittelbaren Einblick in den Kernbereich der Privatsphäre von Menschen (Welcher Mann lebt mit welcher Frau zusammen? Wer lebt alleine? etc.)“ bekommt. Das verletze das Grundrecht auf Datenschutz gemäß dem im Verfassungsrang stehenden § 1 Abs. 2 Datenschutzgesetz 2000 und des ebenfalls im Verfassungsrang stehenden Menschenrechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Artikel 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), weshalb diese Daten „jeweils nur in der gelindesten, zum Ziel führenden Art“ verwendet werden dürfen. Neben besonderen organisatorischen und technischen Sicherheitsmaßnahmen fordert der Verfassungsdienst auch, dass die Daten von den Betroffenen selbst erfragt werden sollen und nur im begründeten Zweifelsfall die Verknüpfungsanfrage zum konkreten Anlass wie der Berechnung der Notstandshilfe in Einzelfall gestellt werden darf. Das alles ist in der Novelle nicht vorgesehen, ohne konkrete Zweckbestimmung und nähere Verfahrensvorschriften soll das AMS nach eigenen Belieben Zugriff erhalten.

Kritisch auch eine private Stellungnahme eines mir nicht näher bekannten MR Mag. Marius Maurer[4], der vor allem missbräuchlichen Zugriff auf die Daten aus dem Melderegister befürchtet und entsprechende Schutzmaßnahmen fordert.

Sehr bedenklich ist, dass bei Wohngemeinschaften das AMS so Daten von Menschen bekommt, die mit dem Antragsteller versicherungsrechtlich gesehen gar nichts zu tun haben und daher Daten über  Menschen die vom AMS  nach dessen gesetzlicher Grundlage, dem Arbeitsmarktservicegesetz, laut § 25 gar nicht gespeichert werden dürfen! Deren Grundrecht auf Datenschutz wird also auch massiv verletzt!

Das AMS macht Jagd auf Menschen in Partnerschaften

Die Anrechnung des Partnereinkommens ist schon seit Jahren heftig umstritten, weil die Freigrenzen extrem niedrig sind und so der Staat sich anmaßt, ganze Familien, bei der alle ArbeitnehmerInnen brav Jahrzehnte lang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, weit unter die Armutsgrenze zu drücken. 2013 haben laut Beantwortung[5] einer parlamentarische Anfrage der Grünen daher im Schnitt 12.364 Menschen gar kein Geld vom AMS bekommen, 11.324 haben einen Abzug hinnehmen müssen. Da in Österreich immer noch Männer mehr verdienen als Frauen und deutlich seltener in Teilzeitstellen arbeiten, waren 82 % jener, die nichts bekommen haben, Frauen, von jenen denen nach Abzug noch etwas über blieb, immerhin noch 54 %. Frauen verloren im Schnitt 318 Euro monatlich, Männer 293 Euro.

Trotz schlagender statistischer Beweise sah der Verfassungsgerichtshof[i] in einem Musterprozess der AK darin keine verbotene Geschlechterdiskriminierung!

Das AMS betreibt bei der Überprüfung des Partnereinkommens einen Riesenaufwand: Nicht nur müssen Betroffene in Fragebögen intime Details über ihr Zusammenleben mit dem/der vermeintlichen Partnerin preis geben, sonder können auch Mitarbeiter des AMS unangemeldet einen Überraschungsangriff eines Augenscheins machen, bei dem diese dann wie Schnüffler bis in die letzten Winkel der Wohnung, bis ins Schlafzimmer, schauen. Nicht nur ob getrennte Schlafzimmer da sind wird kontrolliert, sondern, in geradezu lebensfremder Manier, ob in der Küche auch Lebensmittel in verschiedene Eiskästen oder in Fächern getrennt aufbewahrt werden, weil sonst eine „Wirtschaftsgemeinschaft“ vorliegen könnte!

Was die AMS-Schnüffler den Überrumpelten nicht verraten: Mensch hat das Recht den Zutritt zu verweigern und kann stattdessen einen Termin anbieten, bei dem dann auch alle anderen in der Wohnung lebenden Menschen anwesend sein können, damit nicht hinter deren Rücken von den AMS-Schnüfflern falsche Behauptungen aufgestellt werden können.

Dabei überschreiten diese AMS-Schnüffler mitunter ihre Kompetenzen und machen gleich vor Ort eine Befragung, die sie rechtlich gesehen erst nach einer rechtzeitigen, schriftlichen Ladung aufs Amt mit Rechtsbelehrung machen dürfen. Auch soll es vorkommen, dass die AMS-Schnüffler gar die Nachbarn befragen, womit diese über die Erwerbsarbeitslosigkeit der vom AMS verdächtigten Menschen erfahren.

Beim AMS gilt die Schuldvermutung und die zu Unrecht beschuldigten haben den Aufwand

Diese Probleme werden nun zunehmen, da bislang normale Wohngemeinschaften ja aus gutem Grund dem AMS nicht bekannt zu geben waren. Das AMS bekommt nun frei Haus alle Daten von Mitbewohnern! Selbst solcher, die – wie es bei studentischen Wohngemeinschaften vorkommen soll – gar nicht mehr dort wohnen und einfach vergessen haben, sich abzumelden.

Besonders übel ist das Vorgehen der Schreibtischtäter vom AMS insofern, als diese in recht weiter Auslegung der Gesetze schon beim geringsten Verdacht den Bezug einstellen, ohne das der/die Betroffene vorher durch ein Parteiengehör Gelegenheit hatte, zu den Verdächtigungen des AMS Stellung zu nehmen. Die via Artikel 6 Europäische Menschenrechtrechtskonvention im Verfassungsrang stehende Unschuldsvermutung wird beim AMS in eine Schuldvermutung umgedreht: Der Beschuldigte muss mühsam seine Unschuld beweisen, um wieder seine Existenzsicherung durch seine Arbeitslosenversicherung vom AMS zu bekommen. Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof darüber, wann eine „Wirtschaftsgemeinschaft“ vorliege, ist nämlich sehr diffizil und hat mit der Realität nicht immer eine volle Übereinstimmung.

Das AMS zeigt mitunter wenig Skrupel, anderen Menschen einfach so die Existenzgrundlage wegzunehmen, obwohl diese mit ihren Beiträgen auch die AMS-MitarbeiterInnen finanzieren. Da werden selbst Arrangements, wenn ältere Menschen mit Behinderung einer jungen Arbeitslosen gegen Pflege eine kostenlose Unterkunft gewähren, als Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaften gewertet und das Geld wird entzogen.

Wem das AMS auch nach seinen Ermittlungen eine Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft unterstellt, dessen angebliche PartnerIn muss dann mitunter ein Formular des AMS für die Einkommensüberprüfung seinem/ihrer ArbeitgeberIn vorlegen, womit auch dieser nicht nur über die angebliche Partnerschaft informiert wird sondern auch über die Erwerbsarbeitslosigkeit des angeblichen Partners. Das kann dann auch nachteilige Folgen im Betrieb wie Übergehen bei Beförderungen oder gar eine Kündigung zur Folge haben.

Über die Auswirkungen dieser Schikanen gibt es bislang keine einzige Untersuchung, weshalb nicht einmal geschätzt werden kann, wie viele Familien und Partnerschaften der Staat durch die Anrechnung des Partnereinkommens zerstört hat. Daher ist es eine besondere Bigotterie, dass gerade die sich Familienpartei nennende ÖVP auf diesen sadistischen und familienfeindlichen Einkommensanrechnungen beharrt, zumal die Notstandshilfe auch für die einzelne Person je nach vorheriger Versicherungsdauer 2016 mit 895 bzw. 1043 Euro „gedeckelt“ werden, also massiv unter die offizielle Armutsgrenze gedrückt werden!

Solange die Anrechnungsfreigrenzen nicht deutlich angehoben werden, wird so von Sozialminister Alois Stöger nur die Armut weiter künstlich vergrößert.

AK und ÖGB lassen Arbeit suchende ArbeitnehmerInnen wieder im Stich

Angesichts der massiven Probleme ist es geradezu ein Hohn, dass die Arbeiterkammer genauso wie die Industrieellenvereinigung nicht nur ihre Zustimmung zur unbeschränkten Datenweitergabe aller in der Wohnung lebenden Menschen gibt, sondern geradezu noch rechtfertigt und als besonderes Service zu verkaufen versucht und wieder die an die Volksgemeinschaft gemahnende Versicherungsgemeinschaft beschwört: „Die Angaben von Personen zu eventuellen Lebensgemeinschaften, die einen Antrag auf Notstandshilfe stellen, können so besser überprüft werden. Da eine faktenbasierte Entscheidung sowohl im Interesse der Arbeit Suchenden als auch im Interesse der Versichertengemeinschaft ist, wird auch gegen diese Änderung kein Einwand erhoben.“[6]

Der ÖGB gibt – wie so oft, wenn es um Verschlechterungen für Arbeit suchende ArbeitnehmerInnen geht – erst gar keine Stellungnahme ab und gibt auch sonst, ebenso wie die AK, keinerlei kritische Äußerung in der Öffentlichkeit ab. ÖGB-Präsident Erich Foglar verteidigt ja auch das sadistische Sanktionenregime eisern, weil, wie er auf einer Diskussionsveranstaltung im Haus der EU sagte, „sonst geht ja keiner mehr Arbeiten geht“. Erst im Frühjahr, am 30.3.2016, hatte der ÖGB-Bundesvorstand – sogar mit Zustimmung der AUGE/UG, deren Chefideologe Markus Koza im persönlichen Gespräch das auch noch ohne jede Begründung verteidigt! – bezüglich der Mindestsicherung die „Vollziehung der bestehenden Sanktionsmöglichkeiten bei fehlender Arbeitsbereitschaft“ gefordert, und dass Geldleistung durch Sachleistungen ersetzt werden und Miete und Energiekosten direkt an Vermieter und Energieunternehmen überwiesen werden[7]. Damit würde das Grundrecht auf Datenschutz verletzt und MindestsicherungsbezieherInnen bei Vermietern und Energieunternehmen bloß gestellt werden!

Österreich: Land ohne echte Opposition und Zivilgesellschaft

Seitens der Grünen hat sich zwar Birgit Schatz im Sozialausschuss[8] kritisch zu Wort gemeldet, aber sonst hat die Grünpartei wie meistens bei Arbeitslosenthemen nichts getan, nicht einmal eine Presseaussendung. Betroffenenselbstorganisationen – die ja keine Ressourcen für Lobbying haben, um bei den Grünen wahrgenommen zu werden – bleiben seit Jahren völlig unbeachtet. Sonst gibt es zwar immer wieder vereinzelte Forderungen für die Aufhebung der schikanösen Anrechnung des Partnereinkommens, doch keine einzige Organisation verfolgt dieses wichtige Thema systematisch weiter, geschweige denn arbeitet diese mit anderen zusammen. Die Vermutung liegt nahe, weil jeder nur sich selbst profilieren will.

So treiben die herrschenden Parteien Rot/Schwarz/Grün weiter die im Stich gelassene Unterschicht in die Arme der rechten Populisten. Die Erwerbslosenselbstorganisation „Aktive Arbeitslose Österreich“ hat erst über den Umweg der Medienberichterstattung von der Novelle erfahren, obwohl er sonst alle Begutachtungsentwürfe bekommt, und konnte erst nach der allzu kurzen Frist reagieren[9]. Zufall oder nicht, mit seinen geringen Ressourcen und der Ignoranz der staatlichen und kommerziellen Mainstreammedien, die Basisinitiativen generell tot schweigen, wird vorerst leider nicht viel erreicht werden können.

Im paternalistischen Österreich lassen von Staatsschikanen zermürbte Menschen sich zwar gerne beraten und helfen, sind allerdings nach Probemlösung oder -milderung kaum mehr bereit, selbst etwas zum organisierten Widerstand beizutragen. Auch sonst hat sich bislang noch keine Organisation bereit gefunden, die vereinzelten Aktionen zu koordinieren und zu einem gemeinsamen, organisierten Kampf für die Abschaffung der schikanösen Gesetze aufzubauen. Eine Online-Petition der Aktiven Arbeitslosen Österreich im Vorjahr samt Pressemitteilung[10] hatte jedenfalls kein merkbares Echo zur Folge.

Der Aufbau einer Sozialbewegung von unten, die Zusammenarbeit aller Menschen und Gruppen guten Willens ist daher dringender denn je!

 

[1]https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/I/I_01344/index.shtml

[2]http://www.tt.com/politik/innenpolitik/12401869-91/st%C3%B6ger-will-mehr-urlaub-und-neue-steuern.csp

[3]https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/SNME/SNME_07988/index.shtml

[4]https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/SNME/SNME_07849/imfname_569162.pdf

[5]https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_02885/index.shtml

[6]https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/SNME/SNME_07992/imfname_570095.pdf

[7]http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20160330_OTS0125/foglar-bedarfsorientierte-mindestsicherung-weiterentwickeln-statt-kuerzen

[8]https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/I/I_01429/index.shtml

[9]http://www.aktive-arbeitslose.at/recht/gesetzesbegutachtungen/stellungnahme_zur_novelle_des_alvg_nein_zur_verknuepfungsanfrage_des_ams_beim_zentralen_melderegister.html

[10]http://www.aktive-arbeitslose.at/news/20150127_partnereinkommen_notstandshilfe_petition.html

[i]