Vorgeblich um Kompromiss bemüht, werden durchaus notwendige und vernünftige Vorschläge in den Vordergrund gerückt.
Die geforderte Vereinheitlichung der Leistungen für das ganze Bundesgebiet zum Beispiel ist eine schon längst fällige Notwendigkeit.
So ist kaum nachzuvollziehen, warum eine vergleichbare Familie in Vorarlberg deutlich weniger (€ 1.689,-) bekommt als in Salzburg (€ 2.272,-) oder Tirol (€ 2.436,-). Durch die, von einzelnen Bundesländer vorgenommenen, Kürzungen werden Ungleichheiten noch vergrössert. So werden zb die nun in Niederösterreich mit 1. Juli in Kraft tretenden Veränderungen Menschen wahrscheinlich nötigen nach Wien zu übersiedeln.
Der Ausbau der negativen Einkommenssteuer im Zusammenhang mit einem Mindestlohn von € 1.700,- für Vollzeitbeschäftigte könnte ein adäquater Lösungsansatz sein.
Könnte!
Denn dass die Intentionen des Diskussionsbeitrages in eine völlig andere Richtung gehen, zeigt sich hier. Zitat: „Insbesondere bei Familien sind die gegenwärtigen Mindestsicherungssätze in Relation zu den am Markt erzielbaren Einkommen hoch, oft sogar zu hoch.“
Dies entspricht auch der Position der ÖVP Niederösterreich die lautet: die Mindestsicherung vernichte die Anreize, Arbeit anzunehmen, und soll etwa bei 1.500 Euro pro Monat für Familien mit mehreren Kindern begrenzt werden.
Es geht also ganz eindeutig nicht darum, positive „Anreize“ zur Annahme einer Erwerbsarbeit zu schaffen, sondern um eine Beschneidung bzw. Kürzung der BMS. Und zwar nicht mehr nur den Teil der subsidiär Schutzberechtigten – was natürlich ebenso verwerflich wie dumm ist – sondern für alle Bezugsberechtigten. Es ist zu befürchten, dass nach der Durchsetzung der Kürzung für „Ausländer*innen“, diese Verschlechterungen für alle Mindestsicherungsbezieher*innen gefordert und durchgesetzt werden.
Als Beispiel dafür, wie in dieser Diskussion mit falschen Zahlen argumentiert und die Neiddebatte geschürt wird, sei darauf hingewiesen, dass die BMS im Gegensatz zur 14 maligen Auszahlung eines Erwerbseinkommens nur 12 mal jährlich ausbezahlt wird. Um beim Beispiel der € 1.500,- zu bleiben ergibt das einen jährlichen Unterschied von € 3.000,- bzw. umgerechnet von € 250,- monatlich. Der Vergleich der Netto-Monats-Auszahlungsbeträge ist daher unredlich.
Wessen Agenda der Chef des AMS vertritt, offenbart sich aber auch in einem Vortrag für die WKO. „Beim umstrittenen Thema Zumutbarkeit könnte der Hebel auch bei der Vollziehung der bestehenden Regeln durch das AMS angesetzt werden.“ und „Wir sollten aber nicht nur über die Zumutbarkeit reden, sondern auch über Inaktivitätsfallen, etwa bei der Mindestsicherung.“ Dazu hätte er gerne mehr Daten. „So sind zum Beispiel Daten über Sanktionen ebenso wie detaillierte Auswertungen nach diversen Personenmerkmalen kaum erhältlich.“ Ein Schelm, wer dabei Böses denkt.
Und den „Knüppel aus dem Sack“ läßt Herr Kopf dann in einem Interview für OE1, als er sich bei der Mindestsicherung für mehr Sachleistungen ausspricht. „Kopf sagt, man solle lieber Wohnen und Heizen zahlen und nur den Rest in Geld, um Missbrauch zu verhindern.“
Dieser Rückschritt in einen paternalistischen Staat, den wir glaubten Anfang des 21. Jahrhunderts eigentlich überwunden zu haben, zeigt sehr deutlich wohin die Reise gehen soll.
Der nächste Schritt wird die Einführung von Lebensmittelmarken und die völlige Abschaffung von Geldleistungen sein. Es ist gerade das Sachleistungsprinzip, das sich im Lebensalltag von Armut und in Not geratenen Menschen als stigmatisierend und ihren Sonderstatus verfestigend erwiesen hat. Die dauerhafte Versorgung mit Sachleistungen beeinträchtigt die Lebensplanung und das Selbstbestimmungsrecht von Anspruchsberechtigten in erheblichem Ausmaß. Das Sachleistungsprinzip verletzt die Würde von Menschen, schränkt die persönliche Freiheit der Betroffenen unverhältnismäßig ein und stellt nach unserer Ansicht einen Eingriff in elementare Grundrechte dar. Sachleistungen verschärfen die ohnehin schwierige psychosoziale Lage der Betroffenen da sie über wesentliche Aspekte von Menschenwürde im Alltag faktisch nicht selbst entscheiden können. Sozial ist, was Würde schafft!
Gerhard Hager