Otto Wagner Areal / Steinhof: Zukunft gestalten statt verbauen

2015 geht die öffentliche Diskussion um die Zukunft des Otto Wagner Areals am Steinhof in das 5. Jahr. In dem Brief von Christine Muchsel und Wolfgang Veit von der BI Steinhof wird der Stand der Dinge rund um das Steinhof-Gebiet zusammengefasst und ein demokratischer Planungsprozess gefordert. Wir unterstützen die BürgerInneninitative dabei – auf Bezirksebene und dann auch im Gemeinderat.

2015 geht die öffentliche Diskussion um die Zukunft des Otto Wagner Areals am Steinhof in das 5. Jahr. In dieser Zeit konnte die aktive Zivilgesellschaft ein Wahnsinnsprojekt abwenden. Das 70 Hektar große Areal mit über 50 historischen Gebäuden wird nicht zerstückelt und zur Gänze verkauft, sondern verbleibt im Eigentum der öffentlichen Hand. Das größte geschlossen erhaltene Jugendstilensemble Europas hat damit eine neue Chance bekommen.
Somit gilt diese breite Bürgerbewegung wohl als erfolgreichste in der jüngeren Geschichte Wiens und wir können alle sehr stolz darauf sein. Gleichzeitig wurde durch den Erhalt als Gemeingut die Basis für die gesellschaftspolitisch notwendige und im Sinne des Gemeinwohls wichtige langfristige Nachnutzung geschaffen.

Da sich der Krankenanstaltenverbund in den nächsten Jahren zur Gänze vom Areal zurückziehen möchte, stellt sich die dringende Frage der Nachnutzung.
Die Grundlagen für einen attraktiven neuen Stadtteil sind geschaffen. Steinhof kann, wie im Mediationsverfahren beschlossen, zu einem spannenden Raum für Wissenschaft, Forschung, Ausbildung, Medizin, Soziales, Kunst, Kultur, Tourismus, Erholung und Freizeit gestaltet werden.

Bei aller Freude über das Erreichte machen nun die aktuellen Pläne der Stadt Wien die große Chance zunichte, bedarfsorientiert und nachhaltig mit dem Ensemble umzugehen.
Die geplante Gesiba-Wohnverbauung im sog. Wirtschaftsareal würde die Nutzungschancen der Gesamtanlage bezüglich ihrer langfristigen Flexibilität in unakzeptablem Ausmaß schmälern, letzte potenzielle Baulandreserven verbrauchen, wichtige Therapie-Einrichtungen verdrängen, das Ensemble massiv schädigen.
Zudem widerspricht eine Wohnverbauung ohne Vorlage eines Nutzungskonzeptes dem Mediationsergebnis, lautet doch die übergeordneten Forderung des Expertengremiums: „Der Ostteil muss im funktionalen und räumlichen Zusammenhang mit dem Gesamtareal betrachtet werden.“

Die für die Verbauung erforderliche Rodung von mehreren hundert Bäumen wurde bisher nicht nach ihrer ökologischen Vertretbarkeit bewertet. Hunderte Menschen haben bereits Baumpatenschaften übernommen. Auch die Aktion 21, die überparteiliche Vereinigung Wiener Bürgerinitiativen, ist Patin. Ist sich die Stadt Wien, sind sich insbesondere die Wiener Grünen dessen bewusst, dass sie hier die gesamte Wiener Initiativen-Szene provozieren ?
Wollen sich die Grünen tatsächlich wegen hundertfachen Baummordes ihrer ursprünglichen Basis, nämlich den vereinten Bürgerinitiativen, kämpferisch entgegenstellen ?
Eine Prüfung der Kompatibilität von Neubauten mit dem außerordentlichen Status der Gesamtanlage fehlt. „ Die Prüfung dieser Frage hätte jedenfalls unter Einbeziehung einschlägig auf dem Gebiet der baulichen Integration im Bereich historischer Ensembles ausgewiesener Experten zu erfolgen.“ (Zitat Prof.Dr.Lipp, Direktor ICOMOS Austria)

Die von der Stadt Wien beauftragte WSE macht sich nach eigenen Angaben auf die Suche nach Nutzern, die nach Ende des Spitalsbetriebes Gebäude übernehmen würden. Das ist Detailarbeit ohne Überblick: Mehr als 10 Jahre wird es dort noch Spitalsbetrieb geben, der oszillierend bei Umbau anderer Spitäler Abteilungen aufnehmen und wieder abgeben wird. Der Krankenanstaltenverbund hat diese schwierige Aufgabe zu managen. Leerstand muss vermieden werden, denn eine leeres Gebäude verfällt. Der KAV hat aber nicht die Aufgabe Gebäude zu erhalten, die er nicht mehr braucht und er nimmt diese Aufgabe auch nicht wahr. Der leerstehende und verfallende Pavillon 8 ( siehe Foto Anhang ), Pathologie und Jugendstiltheater zeigen das. Noch heuer muss gehandelt werden, sonst sind wesentliche Ensembleteile Ruinen. Also müssen Zwischennutzer und gegen Ende des Spitalsbetriebs Dauernutzer gesucht werden. Welche Nutzungen langfristig gewünscht werden, ist im Mediationsverfahren definiert. Die räumliche Umsetzung erfordert Planung und Entscheidungskompetenz, denn rasches und flexibles Reagieren im vorgegebenen Rahmen ist nötig.

Zur Finanzierung in Zeiten leerer Stadtkassen schlagen wir die Gründung einer kommunalen sozialen Stiftung vor, die von der Stadt Wien betrieben wird. Das stellt die mit Abstand günstigste Verwaltungsform dar und sollte für Rot/Grün auch ideologisch von großem Interesse sein. Dadurch werden hier wieder ursprünglich praktizierte Querfinanzierungen möglich, Spender, Mäzene, Erblasser können, auch spartenbezogen, das Gemeinwohlprojekt wesentlich mittragen. Die Expertise zu dieser Stiftungsform liegt den politischen Entscheidungsträgern vor.
Auch seitens der EU ist über die Vielzahl der betroffenen Sparten sehr viel Fördergeld zu holen. Man nehme Barcelona als Beispiel, wo für ein großes altes Spitalsensemble Dank EU-Geldern Bedeutendes an Erhaltungs- und Gestaltungsarbeit geleistet und gleichzeitig eine Touristenattraktion geschaffen werden konnte.

Wir haben es mit einem ganzen Stadtteil zu tun – und mit keinem kleinen. Dieser Stadtteil muss gemanagt werden; das ist mehr als nur Nutzer für das Jahr 2025 zu suchen, es bedeutet eine große Chance für Wien, wie sie sich kein zweites Mal bieten wird. Diese Chance muss ergriffen werden. Die Entscheidung auf die lange Bank zu schieben, das Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten, ist eine schlechte Lösung. Entscheidungen müssen jetzt getroffen werden. Und wenn es die richtigen sind, wird es einer der größten Erfolge dieser Legislaturperiode sein. Steinhof ist zu wichtig für die Stadt und ihre Bewohner, als dass man sich mit weit weniger als der bestmöglichen Lösung zufrieden geben darf. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten muss  Gemeinwohl über Einzelinteressen, gesellschaftspolitisch nachhaltiger Nutzen über politischem Justament-Standpunkt stehen.

Seitens der Stadt Wien muss das Gespräch mit den engagierten BürgerInnen umgehend wieder aufgenommen werden; die seit Jahren im Hintergrund zum Thema arbeitenden Fachleute aus den Bereichen Kunstgeschichte, Denkmalschutz, Medizin und Ökologie gehören in den konstruktiven Dialog einbezogen. Die Aufgabe, die hier vor uns liegt, ist keine einfache, das haben wir auch nie behauptet. Zunächst muss der Mut aufgebracht werden, eine optimale Lösung überhaupt anzudenken. Dann kann, unter Verzicht auf die schädliche Gesiba-Wohnverbauung, gemeinsam überlegt, geplant und umgesetzt werden. Nur ein demokratischer Prozess kann hier zu einem guten Ergebnis führen.

Christine Muchsel, Wolfgang Veit, BI Steinhof, Kontakt: steinhof@gmx.at
Verein „Steinhof als Gemeingut erhalten und gestalten“, www.steinhof-gestalten.at, Facebook-Gruppe „Steinhof als Gemeingut erhalten“