Dass einfache Polizisten in den letzten Wochen Corona-Verordnungen höchst unterschiedlich und teilweise sehr fragwürdig interpretiert haben, ist bekannt. Dass nun auch die Landespolizeidirektion Wien (und deren Chefjuristen) einerseits Kundgebungen und Demonstrationen untersagen, andererseits aber Kundgebungen genehmigen*, ist skurril und mehr als fragwürdig**, denn ganz sicher kann nicht geduldet werden, dass die Exekutive über die Ausübung verfassungsrechtlich verbriefter Grundrechte entscheidet.
Die ÖH der Akademie der bildenden Künste Wien fragt sich jedenfalls, ob Shoppen wichtiger ist als die Versammlungsfreiheit, denn ihre Veranstaltung zum Thema „Meinungsfreiheit und Grundrechte auch in Zeiten der Krise” wurde von der Landespolizeidirektion Wien verboten. Die Veranstaltung sollte am 24.4.2020 um 11:55 vor dem Parlament stattfinden. Wie von Kunststudent*innen nicht anders zu erwarten, sollten die Corona-Schutzmaßnahmen sehr kreativ umgesetzt werden. Die auf zehn Teilnehmer*innen beschränkte Demo wollte jede der Teilnehmer*innen neben dem Mundschutz auch noch in sogenannte Bubble-Balls hüllen. Dadurch wäre ein Mindestabstand und ausreichende Sicherheit vor Tröpfcheninfektion sicher gewährleitet gewesen.
Das LPD Wien sagte trotzdem „Njet“. Die Begründung: Auf Grundlage des §2 Z 1 COVOD-19-Maßnahmengesetzes, das vom Gesundheitsministerium erlassen wurde, ist das Betreten öffentlichen Raumes nur durch einen der aufgelisteten „Ausnahmetatbestände“ zugelassen. Das Abhalten einer Versammlung fällt nicht darunter und würde eine Gefahr des öffentlichen Wohles darstellen und eine „allgemeine Zugänglichkeit“ sei dem „Gesundheitsziel diametral zuwiderlaufend“. Auf die kreativen Schutzmaßnahmen der Kunststudent*innen wird in der Urteilsbegründung nicht eingegangen, aber auf die Gefahren für die „Moral“ beim „ohnehin mühevollen Durchhalten“ der österreichischen Bevölkerung hingewiesen.
Auf Nachfrage von Wien ANDAS zeigt sich Lars Kollros, ein Mitglied im Vorsitzteam der ÖH der Akademie der bildenden Künste Wien, irritiert über den Entscheid. Denn längst haben in Österreich kleine Geschäfte und Boutiquen wieder geöffnet, in denen sich Menschen viel näher kommen, als bei der geplanten Kundgebung. „Die Freiheit shoppen zu gehen, scheint wichtiger zu sein als die in der Verfassung garantierte Versammlungsfreiheit“, meint Kollros und dadurch besteht Gefahr, dass sich „unsere Grundrechte [einer] pauschalen Politik der Angst geopfert werden”.
Überall in der Welt wächst gerade der Widerstand gegen den Lock-Down. Kollros und die ÖH der AK-Bild wollen sich aber explizit gegen Demonstrationen wie beispielsweise jene in Berlin vor der Volksbühne abgrenzen. Dort kommen rechtsradikale Verschwörungstheoretiker (Selbstbezeichnung „Volkslehrer“) zusammen und wollen, mit dem Vorbild Donald Trump, gegen die Ausgangsbeschränkungen der „Impfterroristen“ kämpfen. Dabei gefährden sie sich und andere. Mit solchen Spinnern hätte die verbotene Demo in Wien natürlich nichts zu tun gehabt, denn die Ziele der Eindämmungsmaßnahmen gegen den Corona-Virus teilen die verhinderten Demonstrant*innen. Nur wollen sie eben dennoch auf die Gefahr einer unzulässigen Beschneidung der Meinungsfreiheit und der Grundrechte hinweisen.
Wien ANDAS meint, es muss gerade im Hinblick auf den 1. Mai Möglichkeiten geben, Demonstrationen durchzuführen, wenn diese die nötigen Sicherheitsbestimmungen einhalten. Es geht nicht an, dass die österreichische Bundesregierung sich lediglich um den Handel und Tourismus sorgt und für diese Gefahren in Kauf nimmt, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit aber rigoros einschränkt.
Bild: Bubble Balls c) wikicommons