An den Gratiszeitungen in Wien scheiden sich seit Anbeginn die Geister. Was haltet ihr von dem Vorstoß die Entnahmeboxen zu verbieten bzw. bestehende Genehmigungen auslaufen zu lassen?
Eine Sektion der Wiener SPÖ sagt nun den an öffentlichen Orten aufgestellten Entnahmeboxen den Kampf an. Ein Antrag mit potentieller Sprengkraft. Denn sollte er am bevorstehenden Parteitag zugelassen und angenommen werden, wäre dies offizielle Parteilinie der Wiener SPÖ. Und damit auch ein möglicher Schlussstrich unter die jahrelange Verhaberung zwischen der Wiener Stadtregierung und den Chefredaktionen der Gratisblätter.
Für Interessierte haben wir einige Argumente zusammen getragen. Judith Hofer ist selbsternannte Nachrichten-Junkie und argumentiert gegen die Entnahmeboxen. Klemens Herzog ist unabhängiger Aktivist bei Wien Anders, studiert Journalismus und liest am Weg in die Arbeit gerne mal die Heute.
Contra – Entnahmeboxen
Die Diskussion um ein Verbot von Entnahmeboxen für die Gratiszeitungen „Heute“ und „Österreich“ im öffentlichen Raum ist wieder aufgeflammt und wird Ende April beim Landesparteitag der SPÖ Wien behandelt.
Zuletzt hat sich die Stadt Wien auf die darüber bestehenden Verträge mit den Verlagen berufen – ein „Auslaufen-Lassen“ dieser Verträge allerdings nicht in Betracht gezogen. Das ist aus Sicht der Stadt verständlich, ist sie doch durch regelmäßige, ganzseitige Inserate in diesen Medien äußerst prominent.
Allerdings ist es sehr bedenklich, einen so einfachen, kostenlosen Informationszugang durch nur zwei Medien zu anzubieten, die noch dazu eine praktisch idente Blattlinie verfolgen. Das könnte man getrost als gezielte „Meinungsmache“ bezeichnen. Schließlich bewirkt die Kostenlosigkeit und der uneingeschränkte Zugang, eine enorm starke Verbreitung – zulasten anderer Berichterstattungen, die nur an bestimmten Standorten gegen Bezahlung erworben werden können.
Das ist ein klarer Angriff auf die Meinungsvielfalt, die somit vermeintlicher Zeitersparnis und wirtschaftlicher Überlegungen („Warum zahlen, wenn´s auch gratis geht?“), zum Opfer fällt.
Auch sollte man keinesfalls, die dahinterliegende Bedeutung übersehen, dass nur Verlage, die über ausreichend finanzielle Mittel verfügen, überhaupt Gratisblätter produzieren können. Soll nur das Kapital über den Informationszugang bestimmen?
Ebenso gar nicht nebensächlich ist die Tatsache, dass bei Gratisformaten natürlich der Kostenfaktor in der Herstellung berücksichtigt wird – was, da Papier und Druckkosten ein Fixum sind, nur auf Kosten der journalistischen Qualität gehen kann; und dementsprechend erscheinen diese Blätter denn auch. Durch mangelhafte Recherchen sind Artikel inhaltlich immer wieder fehlerhaft, manchmal sogar völlig unrichtig und die Schlagzeilen müssen, zwecks notwendiger Eigenwerbung so aufsehenerregend wie nur möglich sein – wiederum zu Lasten der Faktenbezogenheit.
Da nun auch noch in Aussicht steht, dass auch Gratiszeitungen Presseförderung erhalten sollen (was wiederum eine ganz eigene Diskussion bezüglich allfällig daran zu knüpfender Bedingungen aufwirft), tritt die Absurdität, bestimmte Zeitungen durch die öffentliche Hand in der Meinungslandschaft zu bevorzugen, noch stärker zu Tage.
Kostenfreier, einfacher Informationszugang ist eine liberale, aufgeklärte Errungenschaft und sollte selbstverständlich unterstützt und gefördert werden. Aber im Sinne der Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt, dürfen nicht allein finanzielle Gründe (Kapital der Verlage, Einnahmequelle für die Stadt) über die Art und Qualität der Meinungsbildung bestimmen.
In diesem Sinne halte ich ein Verbot der Entnahmeboxen für angebracht – sogar notwendig, denn in die freie, individuelle Meinungsbildung sollte nicht von einzelnen derartig umfangreich eingegriffen werden.
Pro – Entnahmeboxen
07:30; U3-Station Schweglerstraße. Eine Heerschar von Berufstätigen und SchülerInnen wälzt sich die Rolltreppen hinunter. Vor dem Zeitungsständer mit der Gratis-Heute bildet sich bereits eine Schlange. Irgendwie erinnert mich die Szene an meine frühkindlichen Kirchenbesuche. Jeder holt sich eine Hostie ab. Unser tägliches Stück Boulevard gib uns heute. Auch ich reihe mich ein. Mit geübtem Griff fische ich mir ein Stück heraus. So wie fast jeden Tag.
Die Sektion 8 der Alsergrunder SPÖ will nun ein Verbot, bzw. ein Auslaufen der bestehenden Verträge für diese Gratisentnahmeboxen am kommenden Landesparteitag der Roten durchboxen. Die Forderung zielt gegen die Blätter “Heute” und “Österreich” ab. Die Argumente sind alt bekannt und lassen sich wie folgt kurz zusammenfassen: Diese Medien erzeugen Müll. Nicht nur geistig, sondern auch materiell.
Nun kann ich diese Argumente durchaus nachvollziehen. Und ja, es wäre für mich kein Weltuntergang, wenn die Gratisblätter aus dem Stadtbild wieder verschwinden. Aber ich muss auch gestehen: Ich mags wenn ich bei einer Öffi-Fahrt eine Boulevardzeitung durchblättern kann. Hier die aktuellen Ergüsse der Regierung, dort die gestrigen Fußballergebnisse. Über den Garfield-Comic lachen. Und auch wenn ich nicht daran glaube, ein kurzer Blick ins Horsokop. Ich bin froh, dass es das gratis gibt. Denn zahlen würde ich dafür nicht. Da kaufe ich mir lieber den aktuellen Augustin und gebe dem Bettler vor der U-Bahnstation das Wechselgeld.
Die Prominenz der vorhandenen Gratiszeitungen kommt nicht von irgendwo. Sie ist politisch gewollt. In gegenseitigem Interesse wurde über Jahre hinweg eine symbiotische Beziehung aufgebaut. In deren Zentrum stehen die Machtinteressen der Wiener Stadtregierung. Gratis sind die Zeitungen, wie die Bezeichnung „Gratisblätter“ vermuten lässt, nämlich nicht. Für knapp 5,5 Millionen Euro erschienen 2016 in der „Heute“ Inserate der Stadt Wien und ihrer ausgegliederten Stellen. Knapp 3 Millionen kassierte „Österreich“ ab. Gratis ist also ein schöner Euphemismus. Denn zahlen tun wir alle dafür.
Ohne die Inserate der öffentlichen Stellen wären diese „Gratis“-Medien kaum überlebensfähig. Wenn man die „Krawallblätter“ loswerden will, braucht es kein Verbot der Entnahmeboxen. Nein, es würde reichen die oft beschworene (und in anderen Bereichen auch von der Wiener SPÖ nur zu oft befolgte) Formel des Neoliberalismus „mehr privat, weniger Staat“ umzusetzen. Eine Vorgehensweise die übrigens auch den Vorteil hätte, dass sich Fellner und Co. nicht glaubhaft als Opfer einer „Gutmenschen-Zensur“ stilisieren können. Viel mehr wäre er dann einfach ein gescheiterter Medienunternehmer, dessen Geschäftsmodell ohne politische Freunderlwirtschaft und Steuergeldverschwendung nicht aufgeht.
Über 800.000 Euro Inseratenvolumen ging übrigens an die ebenfalls gratis erhältliche Wiener Bezirkszeitung. Dass diese bei der gegenwärtigen Diskussion nicht am Pranger steht, zeigt eines ganz deutlich: Auch im Boulevard gibt es unterschiedliche Qualitäten. Nur weil etwas kurz, einfach, verständlich und mit Alltagsbezug formuliert ist, muss nicht automatisch Rassismus und Nach-Unten-Treter-Mentalität herauskommen.
„Instead of making no porn, make better porn“, lautet das Motto von feministischen Pornoproduzentinnen. Dieses ließe sich auch sinngemäß auf den Gratiszeitungsmarkt übertragen. Denn die oberflächliche Diskussion über ein Verbot von Entnahmeboxen, verdeckt wichtigere und grundlegendere Fragen. Die Frage wie man Qualität in den Medien (und auch im Boulevard) fördern kann, bleibt unbeantwortet. Ebenso die Förderung von Medienkompetenz bei den LeserInnen. Das vorhandene Bedürfnis nach kurzweiliger Information und Zerstreuung wird ebenso wenig ernst genommen, wie die machtpolitischen Verstrickungen der österreichischen Politik- und Medienlandschaft. Gratismedien, ob on- oder offline, werden auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Auch weil immer mehr journalistische Inhalte für einen Großteil der Bevölkerung hinter Bezahlschranken verschwinden.
Der Vorstoß der Sektion 8 ist ein willkommener Anlass, solche Fragen diskutieren zu können. Viel mehr aber auch nicht.