ein Diskussionsbeitrag von Martin Birkner, der als Unabhängiger bei Wien Anders aktiv ist. Birkner leitet die Edition kritik & utopie im Wiener mandelbaum verlag. Er ist zudem als Redakteur des mosaik-blog.at. tätig ist. 2014 erschien sein Buch »Lob des Kommunismus 2.0«.
Der Beitrag ist in der April-Nummer des Monatsmagazins Volksstimme erschienen*
Es tut sich was in der österreichischen Linken. Die KPÖ-Graz konnte ihr außergewöhnlich gutes Wahlresultat halten, die Initiative Aufbruch ist vor kurzem angetreten, um ein größeres bundesweites Reorganisierungsprojekt zu starten. Gleichzeitig sind wir mit einem massiven gesellschaftlichen Rechtsrutsch konfrontiert. Der »Sommer der Migration« und die damit einhergehende Willkommenskultur war nur von kurzer Dauer, der neue Bundeskanzler Kern verschärft im Gleichschritt mit ÖVP und FPÖ AusländerInnengesetze, die rechte burgenländische Regierungskoalition kürzt bei der Mindestsicherung was das Zeug hält. Diese Rechtsverschiebung des politischen Feldes öffnet einen weiten Raum auf der Linken. Einer Linken die sich ihre Sichtbarkeit und gesellschaftliche Verankerung allerdings erst erarbeiten muss. Aber wie?
In den letzten Monaten wurden wichtige Grundsatzfragen der Linken diskutiert: Die Niederlage der Syriza-geführten Regierung gegen die Austeritätspolitik der EU, die damit verbundene Frage nach den Grenzen der Reformierbarkeit der Europäischen Union und nach einem »Lexit« oder die migrationspolitische Herausforderung angesichts des rassistischen Backlashs der letzten Monate. Auch die Diskussion rund um Didier Eribons Buch »Rückkehr nach Reims« hat die Frage nach adäquaten Strategien gegen den erstarkenden Rechtsextremismus – und damit verbunden jene nach der ArbeiterInnenklasse – wieder neu entfacht. Nicht zuletzt bildet der Dauerbrenner Klimawandel, also letztlich die sozial-ökologische Frage im Verbund mit jener nach den Grenzen des Wachstums, den Hintergrund für die Richtungsstreits innerhalb der Linken.
Transformationen einer Klassengesellschaft
Die ArbeiterInnenbewegung machte in den letzten 150 Jahren zahlreiche Transformationen durch. Die letzte dieser grundlegenden Veränderungen nenne ich »postfordistisch«, weil sie die industriellen Beziehungen, aber auch die Lebensverhältnisse der (westlichen) fordistischen ArbeiterInnenklasse grundlegend revolutionierte. Das zentrale Datum dieser Transformation ist 1968. Im Zuge der diesem Jahr folgenden massiven Bewegungen wurde die vorher sakrosankte, in der Realität aber ohnehin nur ideologisch existierende »Einheit der ArbeiterInnenklasse« in praktisch Frage gestellt. Im Zusammentreffen mit der ökonomischen Krise der 1970er wurde das relativ starre und an den Erfordernissen der großen Fabrik, des Fließbandes und des Massenkonsums ausgerichtete fordistisch-keynesianische Arrangement des Nachkriegs-Kapitalismus grundlegend erschüttert.
Mit den sogenannten »Neuen Sozialen Bewegungen« zeigte sich, dass die Erfahrungen der Menschen sich nicht auf den Klassenwiderspruch reduzieren lassen. Frauen, Homosexuelle, Indigene, die Kritik an Gefängnis und Psychiatrie, die ökologische Frage und vieles andere mehr rückten in den Fokus. All diese Bewegungen hatten zwar – unterschiedlich gelagerte – Bezüge zur gesellschaftlichen Arbeitsteilung, konnten jedoch von den ArbeiterInnenorganisationen immer weniger integriert bzw. repräsentiert werden. Die Organisation der Produktion änderte sich fundamental: Durch Automatisierung, Ausgliederungen, Aufteilungen und Verlagerungen wurden die großen industriellen Komplexe in den westlichen Industrieländern weitgehend zerschlagen – und mit ihnen die relativ homogene Struktur der ArbeiterInnenklasse.
Diese war zuvor über die Ähnlichkeit der Arbeits- und Lebensverhältnisse, das massenhafte Zusammenarbeiten in großen Fabriken und durch die Organisation in Massenparteien und -gewerkschaften gekennzeichnet. Die Bewegung der ArbeiterInnen war immer auch, und möglicherweise zuvorderst, eine kulturelle. Eine spezifische Lebensweise fand in ihr einen Ausdruck, ebenso wie bestimmte kulturelle Präferenzen und Vorlieben, artikuliert nicht zuletzt durch die mannigfaltigen Vorfeldorganisationen der – hierzulande sozialdemokratischen – hegemonialen Partei. Von den »Arbeiterfischern« über MandolinenspielerInnen und später BAWAG-Konto und ARBÖ bis hin zum Bestattungsverein »Die Flamme« deckten diese Organisationen de facto das ganze Leben der ArbeiterInnen organisatorisch ab. Mit der postfordistsich-neoliberalen Restrukturierung wurde diese Hegemonie unterlaufen und schließlich zerstört. Die meisten der Vorfeldorganisationen sind Geschichte oder vollends im kapitalistischen Normalbetrieb (dr)aufgegangen. Selbst die »andere Arbeiterbewegung« (Karl-Heinz Roth), die selbstorganisierten und nicht-repräsentativen Klassenkämpfe der Marginalisierten, MigrantInnen und Prekären konnte das Erbe der traditionellen Organisationen nur sehr vereinzelt und zeitlich begrenzt antreten.
Insofern kann man von einem Ende der ArbeiterInnenbewegung sprechen. Das bedeutet natürlich nicht, dass es keine ArbeiterInnen mehr gäbe – ganz im Gegenteil sind heute hierzulande mehr Menschen von der Vermietung ihrer Arbeitskraft abhängig denn je –, wohl aber, dass die relative kulturelle Homogenität, die erst die vereinheitlichende Repräsentation gemeinsamer Interessen überhaupt herstellbar machte, endgültig Geschichte ist. In Österreich hat die Institution der Sozialpartnerschaft dazu mehr als nur ein Scherflein beigetragen. Ihre jahrzehntelange Kampf-entwöhnende Praxis hat zur Passivierung weiter Teile der mittlerweile ökonomisch und politisch tief in den Kapitalismus integrierten Klasse beigetragen. Gewerkschaften und Arbeiterkammer waren allerspätestens seit dem Oktoberstreik von 1950 vollständig in das kapitalistische Arrangement eingebunden. Ihre Praxis der StellevertreterInnenpolitik und des Verhandelns hinter verschlossenen Türen hat in letzter Konsequenz dem Aufstieg der rechtsextremen FPÖ mit den Weg geebnet.
Ist die ArbeiterInnenklasse noch ein revolutionäres Subjekt?
Dies führt uns zu einer scheinbar paradoxen Situation: Der Zwang, die Arbeitskraft am Markt anzubieten sowie die Ausgestaltung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung steht nach wie vor im Zentrum der kapitalistischen Vergesellschaftung, gleichzeitig ist damit aber keine emanzipatorische politische Subjektposition mehr verbunden. Es gibt keine Klasse als revolutionäres Subjekt »an sich« mehr. Für die Reorganisierung der antikapitalistischen Linken bedeutet dies eine doppelte Herausforderung: Der Zentralität von Ausbeutung und Arbeitsteilung politisch Rechnung zu tragen und diese Zentralität nicht mehr als Klassenprojekt, sondern als linkes Projekt »für Alle«. Der Occupy-Slogan »Wir sind die 99 %« geht in die richtige Richtung. Dies soll natürlich keineswegs die Differenzen innerhalb der 99 % unter den Tisch kehren, wohl aber die Perspektive gemeinsamen politischen Handelns sichtbar machen.
Wir brauchen eine offensive Strategie für ein »Gutes Leben für Alle«, um uns aus dem alternativlosen Dilemma des nicht-mehr-weiter-wissenden neoliberalen Kapitalismus zu lösen. In und mit den Strukturen der alten ArbeiterInnenbewegung jedoch sind mehr als Abwehrkämpfe nicht mehr zu führen. Das bedeutet nicht, diese Abwehrkämpfe aufzugeben oder zu vernachlässigen, sie müssen heute wohl mehr geführt werden als gestern. Wenn wir allerdings zu einer politischen Artikulation einer zukunftsorientierten linken Politik kommen wollen, müssen wir uns auch um adäquate Organisationsformen und Allianzen umsehen. Letztlich gilt es, das Terrain der Defensive zu verlassen und eine Politik auf Höhe der Zeit zu entwickeln – einer Zeit, die von einem Entwicklungsstand der Produktivkräfte und der Vergesellschaftung der Arbeit geprägt ist, die längst genug – ja in gewisser Weise sogar zu viel! – an Reichtum zur Verfügung stellt, um ein gutes Leben für alle zu gewährleisten. Eine Politik also, die qualitativ mit dem autoritären Regime des Austeritätskapitalismus bricht. Diese Politik soll sich ausnahmslos an alle richten, die sich mit uns gemeinsam auf den Weg machen. Und sie soll sichtbar machen, dass das Reich der Freiheit jenseits der (Lohn)Arbeit beginnt: Die Verknüpfung der Forderung nach radikaler Verkürzung der Arbeitszeit mit jener nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen ist dahingehend zentral.
Eine andere Linke ist möglich!
Bei manchen Linken gibt es Illusionen über eine linke Spielart des Populismus. Mit ihr soll der mühsame Umweg über die Organisierung einer breiten Basis für die Erneuerung der Linken umgangen werden, um direkt mit den »enttäuschten Massen« zu kommunizieren und sie für unsere Ideen zu gewinnen. Dies scheint mir ein Irrglaube zu sein. Zu tief verwurzelt ist dafür die rechte Hegemonie über die Stammtische, zu einheitlich die hiesige Medienlandschaft. An einer Organisierung einer neuen Linken wird kein Weg vorbei führen, ihre Zusammensetzung wird das Ende der ArbeiterInnenbewegung widerspiegeln. Insofern sind wir gut beraten, ausgetretene Pfade zu verlassen.
Wir brauchen die Aktiven der Öko- und alternativen Landwirtschaftsinitiativen genau so wie kritische Gläubige, die politisch unzufriedenen NGO-AktivistInnen oder all jene, die sich im Zuge des Sommers der Migration politisiert haben. Ihnen gilt es ein Angebot auf Augenhöhe zu machen im Sinne einer Politik der »99 %«, im Sinne der gemeinsamen politischen Kanalisierung der berechtigten mannigfaltigen Unzufriedenheit. Die Vielfalt der Neuzusammensetzung der Linken wird uns zwar keine Garantie, aber zumindest ein Schutzschild abgeben gegen die in Österreich stets präsente Tendenz, im Zweifelsfall doch wieder lieber die bessere Sozialdemokratie werden zu wollen. Eine Linke jenseits von demokratischem Zentralismus und Klassennostalgie ist möglich!
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