…der „Causa Doppelstaatsbürgerschaften“
(Kommentar von Judith Wieser)
Wir erinnern uns: Im April 2017 – noch bevor Sebastian Kurz die rot-schwarze Koalition aufgekündigt hatte, gab es große mediale Aufregung über angebliche türkische Wählerevidenzlisten österreichischer StaatsbürgerInnen, die somit plötzlich im Verdacht standen, eine weitere, „illegale“ Staatsbürgerschaft zu besitzen.
Rädelsführer in dieser Diskussion waren die FPÖ – und Peter Pilz.
Dass die FPÖ diese Listen, deren Echtheit nie feststellbar war, umgehend in den Händen der zuständigen Behörden sehen wollte[1] und Heinz Christian Strache den betroffenen Personen ausrichtete: „Tun Sie also sich und Ihrem Präsidenten einen Gefallen, und kehren Sie in ihr Land zurück.“[2], überrascht dabei weniger, als das Verhalten von Peter Pilz.
Jener forderte zwar vor der Herausgabe der Listen ein gesichertes Prozedere für die behördliche und politische Vorgehensweise in dieser Angelegenheit und eine Überarbeitung der aktuellen Gesetzeslage – zum Thema Doppelstaatsbürgerschaften äußerte Pilz allerdings Ansichten, die im Verständnis des Gleichheitsgrundsatzes und des von ihm betonten österreichischen „Rechts- und Verfassungsstaates“, genauso gut aus den Reihen der FPÖ stammen könnten:
„Der österreichische Gesetzgeber verlangt von neuen Bürgern eine Entscheidung. Es stimmt, diese Entscheidung macht gegenüber Irland, Brasilien oder den USA nicht viel Sinn. Im Fall der Türkei ist sie sinnvoll und wichtig. Sie zwingt heute zu einer Entscheidung: Wirst du Bürger des österreichischen Rechts- und Verfassungsstaates werden, oder willst du Bürger der neuen islamischen Republik Türkei bleiben?“[3]
Was ist seither passiert?
Da es für ein derartiges Szenario kein Abkommen zwischen Österreich und der Türkei gibt, liegt die Beweislast, keine türkische Staatsbürgerschaft zu besitzen, nun bei den betroffenen Privatpersonen.
Bisher wurde 85 Personen die österreichische Staatsbürgerschaft aberkannt, etwa 100 Aberkennungen sind noch nicht rechtskräftig. In den allermeisten Fällen handelte es sich bisher aber um völlig legale Doppelstaatsbürgerschaften und hunderte weitere Bescheide sind noch in Vorbereitung.[4]
Immer wieder tauchen dabei Fälle auf, in denen die betreffende Person nichts von ihrer Doppelstaatsbürgerschaft wusste, oder offenbar „versehentlich“ auf „Der Liste“ gelandet ist, wie sich am Beispiel einer Salzburgerin der „2. Generation“ zeigt, deren Name inzwischen zwar von der Liste gestrichen wurde, was sie aber nicht von der Beweispflicht entbunden hat.[5]
Verhängnisvolle Auswirkungen kann die oftmalige Weigerung türkischer Behörden, entsprechende Informationen zu übermitteln haben, sowie, dass von Seiten des türkischen Konsulats eine „Niemals-StaatsbürgerIn-gewesen“- Bescheinigung überhaupt nicht vorgesehen ist.
Denn „dass etwas nicht geschehen ist, oder dass man etwas nicht getan hat, lässt sich ja im Grunde genommen nicht beweisen.“[6]
Die Folgen für die betroffenen Menschen können fatal sein:
„Sie können ihren Aufenthaltsstatus, ihre Beschäftigungserlaubnis und sogar ihr Eigentum verlieren. Und selbst die Staatsbürgerschaft der Kinder steht auf dem Spiel. Obwohl sie in Österreich geboren und aufgewachsen sind – und niemals eine andere Staatsbürgerschaft besessen haben – wären sie dann Fremde im eigenen Land.“[6]
Wie einfach es ist, Menschen einer bestimmten Gruppe auf eine „Liste“ zu setzen, zu beschuldigen und dazu zu zwingen, den Unschuldsbeweis selbst zu erbringen, ist angesichts der derzeitigen Regierung und ihrer Auffassung einer „geordneten“ Republik, mehr als nur besorgniserregend.
Groteskerweise hat gerade der langgehegte Wusch der FPÖ in Italien zu greifbaren politischen Verstimmungen geführt, SüdtirolerInnen eine legale Doppelstaatsbürgerschaft zu ermöglichen, um in Österreich das Wahlrecht ausüben zu können. Deutschsprachigen SüdtirolerInnen wohlgemerkt.
Dass es den südtiroler EinwohnerInnen unabhängig von ihrer „Abstammung“ völlig freigestellt ist, sich der deutsch- oder italienischsprachigen Gruppe zuzuordnen, das blaue Vorhaben so also gar nicht durchführbar ist, zeigt einmal mehr die Absurdität solcher Nationalismen.
Eine langgehegte Forderung von Wien Anders ist die Entkoppelung von Staatsbürgerschaft und Wahlrecht.
Warum sollte ein Mensch, wegen einer papierförmigen Staatsangehörigkeit, nicht in dem Land ein demokratisches Mitbestimmungsrecht haben, in dem sich der Lebensmittelpunkt befindet? Und im selben Zug – wozu sollte jemand in einem Staat mitbestimmen, zu dem kein direkter Lebensbezug mehr besteht, nur weil irgendwann eine solche Zugehörigkeit bestanden hat?
Die verpflichtende, aber einfache „Niederlegung“ des Stimmrechts beim betreffenden Konsulat, oder ein Verzicht darauf am aktuellen Wohnort etwa, wäre eine Lösung. Eine solche Möglichkeit für die EinwohnerInnen zu schaffen, wäre eine konstruktive politische Vorgehensweise und nicht, Menschen auf eine Weise in Bedrängnis zu bringen, die auch nur im Geringsten nach „Staatssäuberung“ riecht.
Betrachtet man „Nationen“, deren Entstehung und Wandlungen im Laufe der Geschichte, wird klar ersichtlich, dass ein „Staat“, eine „Nation“ ohnehin nichts weiter ist, als eine recht willkürliche regionale Herrschafts- und Verwaltungseinheit.
Im Sinne der Demokratie sollte aber jede BewohnerIn einer solchen Verwaltungseinheit ein gleichrangiges Mitbestimmungsrecht besitzen können.
Bürokratie, Patriotismus und übertriebene Heimatgefühle, die Menschen nicht nur ideologisch ausgrenzen, sondern, wie sich aktuell im „Doppelstaatsbürgerschafts“-Kontext zeigt, existenzgefährdend sind, dürfen in einer fairen, demokratischen Gestaltung des Lebensumfeldes nichts verloren haben.