Rede von Sebastian Reinfeldt auf der Generalversammlung von Wien Anders am 5.12.2016
“Ich möchte mit einer persönlichen Anmerkung beginnen. Denn nun sind es knapp zwei Monate her, dass wir unseren Wahlkampf beendet haben. Bei den Wahlen haben wir leider ein Ergebnis bekommen, dass wir uns alle anders erwartet hatten.
Dennoch freue ich mich im Moment, dass wir wieder – und immer noch – beieinander sind. Und beieinander bleiben werden. Danke von meiner Seite aus, an uns alle. Für den tollen und engagierten Wahlkampf, den wir hingelegt haben.
Wir haben binnen 3 Wochen 4500 Unterstützungsunterschriften gesammelt,
Wir haben geschätzt rund 200 Infostände in ganz Wien und noch weitere öffentlichkeitswirksame Aktionen organisiert. Tagsüber, und einige auch in der Nacht.
Wir haben gesteckt, wir haben ein ganzes Wochenende Aktionen rund um die Flüchtlinge willkommen-Demonstration organisiert und alleine bei dieser Gelegenheit 40.000 Flyer verteilt.
Wir waren aktionistisch unterwegs, mitunter am Rande der Legalität.
Wir haben wochenlang unsere Freizeit und teilweise unsere Urlaube hergegeben, um in Wien eine linke und soziale Alternative aufzubauen. Wien Anders ist jetzt bekannt in der Stadt. Das haben wir geschafft.
Wir bleiben ein kritischer Faktor in der Politik in Wien. Diese Entscheidung ist gefallen, und wir als Plattform der Unabhängigen sind voll dabei. Mit Respekt für unsere politischen Freundinnen und Freunde. Und mit Kampfeswillen.
Denn wir sind im Oktober unter Wert geschlagen worden. Nein: noch mehr, wir sind im Oktober weit unter Wert geschlagen worden, finde ich. Aber dafür gibt es natürlich Gründe. Über die werde ich hier sprechen.
Um es vorneweg zu sagen: Schuld waren nicht die gestenreiche Reden und die öffentlichen Auftritte von Juliana. Wir wollen keine Kopie der Kopie der herrschenden Politikerinnen oder Politikern werden. Die sind Auslaufmodelle, mit ihren nichtsagenden Worthülsen, dem Politiksprech. Und den einstudierten Gesten und Täfelchen. Die Glawischnig ist ebenso ein Auslaufmodell wie der Faymann, wie der Politikschauspieler Kurz und wie der Strache. SPÖ, Grüne, FPÖ oder ÖVP – das ist alle nur „more of the same“: Immer das Gleiche.
Sicher kann und muss unser öffentliches Auftreten verbessert werden. Wir haben unseren eigenen Stil noch nicht gefunden. Also, liebe Juliana, vielen Dank, du hast wirklich, wie es unser Margaretener Bezirksrat Wolf-Götz immer wieder gesagt hat, wie eine Löwin gekämpft. Mit Händen und Füßen, und auf deine persönliche Art – Ich, und nicht nur ich, fand das sehr sympathisch und authentisch. Danke nochmals, Juliana.
Trotzdem haben wir unseren eigenen politischen Stil noch nicht gefunden, wir sind noch auf der Suche. Das beginnt mit der Bildersprache – welche Fotos, wie einsetzen, Schriftarten, Meme-Design usw..?. – das geht weiter mit unseren Reden und endet beim gemeinsamen öffentlichen Auftreten. Manchmal waren wir da zu angriffig, wenn Verständnis und Zuhören besser gewesen wäre. Und dann wiederum haben wir zu sanft reagiert oder sogar geschwiegen, wenn es nötig gewesen wäre, auf den Putz zu hauen. Das ist ein notwendiger Lernprozess, den wir gemeinsam durchlaufen müssen. Nochmal: Dieses Lernen ist notwendig, weil wir keine Politik aus der Retorte machen wollen.
Stichwort Lernen. Auch ich persönlich habe die vergangenen Monate unglaublich viel gelernt.
Neben diesen Schwächen beim Kommunizieren war unser größter Fehler im Wahlkampf, dass wir die wirklichen Kräfteverhältnisse in der Stadt weit unterschätzt haben.
Selbst mit einer noch so erfolgreichen Medienkampagne alleine werden wir diese massive Front des Verschweigens nicht aufbrechen können. Da braucht es noch ganz andere Vorgehensweisen, über die wir am Nachmittag noch reden werden.
Wien hat zwei Seiten. Die Außenseite, nach der es eine menschenfreundliche, soziale, aufgeschlossene Stadt ist, von einer progressiven rot-grünen Koalition regiert.
Doch ist das nur eine Fassade.
Dahinter steckt ein Geflecht aus persönlicher Bereicherung, gezielter Manipulation und persönlichen Abhängigkeiten, bei denen es beileibe nicht nur um Geld geht. Wir nennen dieses Geflecht strukturelle Korruption.
Strukturelle Korruption ist das Backoffice von Häupl und Vassilakou.
Und strukturelle Korruption ist die Art und Weise, wie sich in Wien der neoliberale Irrsinn durchgesetzt hat – und wie er sich weiter durchsetzt. Nicht zuletzt bei der Skandalgeschichte rund um die Insolvenz des stadtnahen Personaldienstleisters AGO versuchen wir genau das aufzuzeigen:
Lohndumping in Wien, powered by SPÖ.
Neoliberalismus in Wien, powered by Rot-Grün.
Das sind die politischen Tatsachen der Hauptstadt, und genau denen haben wir den Kampf angesagt.
Was wir dabei unterschätzt haben, ist die reale Macht dieser strukturellen Korruption. Unsere Wahlkampfthemen, und die Art und Weise, wie wir sie angebracht haben, hat „denen da oben“ schon richtig weh getan. Als Beispiel möchte ich den Spekulatationsfall Hetzgasse 8 nennen, in dem unter tatkräftiger Mitwirkung der SPÖ UND der Stadtgrünen ein ganzes Viertel, das Weißgerberviertel nämlich, zum Abriss frei gegeben wird.
Gentrifizierung, also Verdrängung und soziale Ausgrenzung, powered by Rotgrün in Wien.
Powered by Rotgrün, das bedeutet vermutbare persönliche Bereicherung, etwa des Bezirksvorsteher-Stellvertreters, inklusive!
Da kannst du dann aufdecken, protestieren und mit Bürgerinitativen und JournalistInnen zusammen arbeiten, wie du willst. Wenn es 5 Wochen vor der Wahl heißt, darüber darf nichts mehr in den Medien stehen, dann findet das Thema auch nicht mehr statt. „Schluß aus“ ist es mit demokratischer Öffentlichkeit. Da zeigt sich die reale politische Macht – und ich sage ganz offen, ich habe das Ausmaß und die Reichweite der strukturellen Korruption in Wien unterschätzt, und ich habe ihre Wirksamkeit falsch eingeschätzt.
Sie ist wesentlich stärker als ich gedacht habe. Das sind keine Jausengegner, mit denen wir medial und mit ein paar netten Slogans ein wenig herum spielen können. Das sind mächtige und einflussreiche Personen und Personen-Netzwerke, die nur scheinbar auf derselben politischen Seite stehen wie wir es tun.
Der Kapitalismus mit Wiener Antlitz ist im Endeffekt auch nicht menschenfreundlicher als alle die anderen. Er tut nur so. 150.000 Arbeitslose und noch viel mehr von Armut bedrohte Menschen würden gerne ihre Geschichte erzählen. Und hätten gerne eine grundlegende Veränderung.
Und genau an diesem Punkt hat es uns an Strategien und auch an Mitteln gefehlt, um wirksam antworten zu können. Wir haben keine Antwort darauf gefunden, ich persönlich habe darauf keine Antwort gefunden, obwohl ich mir das Hirn zermartert habe, wie wir damit fantasievoll umgehen könnten, wie wir dies kontern könnten.
Eine solche Problemstellung gilt übrigens nicht nur für diesen Wahlkampf, sie gilt für alle zukünftigen Wahlkämpfe, in denen es um etwas geht.
Also: Bei allen Wahlkämpfen, in denen es wirklich um etwas geht, gilt: The Empire strikes back.
Ich bin davon überzeugt, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt. Aber für dieses Problem – das der realen politischen und gesellschaftlichen Macht der GegnerInnen, zu denen ich hier ausdrücklich die Sozialdemokratie zähle – werden wir noch weitere Kooperationen finden müssen, dafür werden wir noch weitere Kooperationen aufbauen müssen.
Wir werden uns noch weiter öffnen. Verbreitern, und zugleich thematisch schärfen müssen. Das könnte eine Formel für die Zukunft sein:
Weiter öffnen und zugleich thematisch schärfen!
Das ist keine leichte Aufgabe. Wir haben die ersten Schritte gemacht. Lasst uns jetzt zusammen nachdenken, diskutieren – und dann die nächsten Schritte gehen. Ein Stück des Weges, der in Richtung einer neuen Form linker Politik geht. Diese neue Form linker Politik sollte sich, so finde ich jedenfalls, nicht in Verteidigungskämpfen erschöpfen. Gegen den Neoliberalismus – auch der typisch Wiener Provenienz – zu sein, ist einfach nicht genug, um politisch wirksam zu werden.
Wir werden klarer herausarbeiten müssen, wofür wir eintreten.
Dann erst werden unsere Worte die Massen ergreifen, und zur materiellen Kraft werden. Davon bin ich überzeugt.
Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde.
Ich freue mich auf die nächsten Monate und Jahre gemeinsamer politischer Arbeit und gemeinsamen Lernens.
Wien hat eine politische Alternative nötiger denn je. Wir von der Plattform der Unabhängigen sind bereit. Wir sind kämpferisch bereit, für eine soziale, demoratische und nicht korrumpierbare Alternative zu kämpfen.
Danke sehr.