Wir kämpfen nicht für Blumen – von Elisa Ludwig

            „Nachdem er sich an meinem bewusstlosen Körper ausgetobt hatte, ließ er mich nackt, blutend und mit seinen Körperflüssigkeiten beschmiert am Tatort zurück. Das, was dieser      Mann mir angetan hat, muss ich in mir wie ein hartnäckiges Krebsgeschwür bekämpfen.           Überall Metastasen: in meiner Widerstandsfähigkeit, meiner Lust, in meinen Träumen … während er, wie die allermeisten Vergewaltiger, unbehelligt sein Leben genießt.“ (weiblich, anonym)

 

Jedes Mädchen* und jede Frau* hat mehr oder weniger Angst, eines Tages selbst männlicher Gewalt ausgesetzt zu sein – oder aber, ihr wieder ausgesetzt zu sein. Denn wir lernen von Kleinauf, dass die Welt eben insbesondere für Mädchen* und Frauen* ein gefährlicher Ort ist. Ich kenne keine einzige Frau, die noch nie sexualisierte Gewalt erlebt hat. Und auch mein eigenes feministisches (Volksschul-)Ich, hat einst der übergriffige Nachbar in mir wach gegrapscht – viel früher als ich Herrschaft, Lohnungleichheit oder Medienrepräsentation überhaupt aussprechen konnte. Damals hatte ich meine erste polizeiliche Einvernahme als Zeugin. Meine Volksschulkollegin, die in der gleichen Straße wohnte, hatte bei der Begegnung mit ebendiesem Nachbarn leider nicht so viel Glück wie ich. Sie vergewaltigte er.

 

Wie kann es sein, dass Mädchen* und Frauen* „Glück“ haben müssen, um nicht Opfer derartiger Gewalt zu werden? Und was sagt uns das, wenn jede 3. Frau* eine „versuchte“, jede 5. Frau* eine „vollendete“ Vergewaltigung erlebt? Was bedeutet diese Furcht, die Frauen* am nächtlichen Heimweg begleitet? Oder die Tatsache, dass die meisten Betroffenen gar nicht durch Fremde, sondern durch Verwandte oder Bekannte sexualisierte Gewalt erleben?

 

Es zeigt uns unter anderem Folgendes:

Als Mädchen* oder Frau* vergewaltigt zu werden, ist relativ normal.

 

Und die lächerliche Verurteilungsrate sowie die hohe Dunkelziffer von Vergewaltigern zeigt, dass

als Mann zu vergewaltigen, ein ziemlich sicheres kriminelles Unterfangen darstellt.

 

Man stelle sich vor, in Österreich würde plötzlich jeder 3. Wagen fast und jeder 5. Wagen sogar völlig von Verbrechern demoliert. Welche Reaktionen gebe es darauf? Eine davon wäre bestimmt eine nie dagewesene, österreich-weite „Aktion Scharf“ gegen die Täter; inklusive einer Verurteilungsrate, die sich gewaschen hat. Im Kapitalismus müsste man halt ein Wagen sein, anstatt einer Frau, denn in diesem System hat nunmal das Kapital die oberste Priorität – sogar, wenn es sich „nur“ um ein Auto handelt. Und in patriarchalen Strukturen behält eben der Mann die Vorrechte – sogar, wenn es sich um einen Vergewaltiger handelt.

 

Und dabei ist Vergewaltigung „nur“ EIN Symptom.

 

Also ein Zeichen, das auf eine tieferliegende Problematik hinweist. Eines von unzähligen Zeichen. Das klinische Bild dahinter – also das System, das die vielfältigsten Symptome verursacht, die vom scheinbar (!) Harmloseren (zB von Sexismus in der Sprache) bis ins Unermessliche (zB Krieg) reichen, hat einen Namen, der sich aus der oben beschriebenen Prioritätensetzung der Weltgesellschaft zusammensetzt: Patriarchaler Kapitalismus.

 

Nein, wir kämpfen am 106. Internationalen Frauentag wahrhaft nicht für Blumen, also schenkt uns heut’ auch keine! Was wir aber von Männern – nicht nur heute – wollen, ist eine authentische und intersektionale feministische Praxis. Das beinhaltet bei Weitem mehr, als „nett“ zu sein oder „an uns zu denken“. Feministische Praxis beinhaltet jedoch erbarmungslose Selbstreflexion seitens der Priviligierten, zu denen Männer gehören. Es bedeutet jede noch so klein wirkende Haltung und Handlung gegenüber Unterdrückung und Unterdrückte zu beleuchten. Als Mädchen* und Frauen* kämpfen wir heute auch nicht „nur“ deshalb, weil wir sowohl im Privaten als auch im Öffentlichen ständige Sexualisierung bis hin zu blanker Gewalt erleben. Wir kämpfen vielmehr um unser gesamtes Leben. Um unsere noch unter- und unbezahlte Arbeit. Um unsere echte Freiheit. Um unsere Selbstbestimmung. Auch darum, Mütter zu werden oder nicht, den Haushalt zu schmeißen oder nicht, Priesterin oder Sexarbeiterin oder kopftuchtragende Hochschuldirektorin zu werden – oder nicht. Wir kämpfen um unseren unteilbaren Wert als Menschen. Und damit steht der Internationale Frauen*kampftag im Geiste aller Befreiungsbewegungen von gestern wie von heute, weltweit. Wir kämpfen als Schwarze Frauen*, als Women of Colour, wir kämpfen auch als weiße Frauen und als Hijabis, als Arbeiterinnen, als Migrantinnen und als Kolonisierte …

 

                                    … und wir kämpfen jeden Tag. Wie auch am Internationalen Frauentag.

 

 

            „Mein feministisches Bewusstsein hat mich nach der Vergewaltigung vor dem     Zusammenbruch gerettet, weil ich dadurch einordnen konnte, was mir passiert war. Ich     verstand wo diese brutale Logik der             Macht herkam, der sich mein Vergewaltiger wie      selbstverständlich bediente. Dieses Verstehen stärkt mich, denn auch wenn ich ihn nicht    stoppen konnte, weiß ich was ich tun muss, um mich an der Gestaltung einer sichereren   Welt (…) zu beteiligen.“ (weiblich, anonym)

 

 

Elisa Ludwig, gebürtige Rumänin, begleitete jahrelang von Gewalt betroffene Migrantinnen als Beraterin und Prozessbegleiterin in Österreich. Sie arbeitet bei LEFÖ-IBF, der Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel. Zudem ist sie als freie Journalistin, Übersetzerin, Moderatorin und Vortragende tätig und behandelt Themen rund um Ökonomie, Feminismus, Sexarbeit und Menschenhandel. Ludwig befindet sich in Ausbildung zur Psychotherapeutin.