Medizinische Versorgung in Wien in der Krise

Zur Gesundheitspolitik in Wien: In den Medien war in den letzten Wochen und Monaten immer wieder von einem Ärztemangel zu lesen. Oft, so berichtete die Tageszeitung “Der Kurier” im August dieses Jahres, “brauche es Jahre, um eine freie Stelle (am Land) neu zu besetzen”.

Laut Kurier-Bericht hat mittlerweile aber sogar die Millionenstadt Wien mit einem Mangel an Kassenärzten und -ärztinnen zu kämpfen: “2013 gab es 48 Ausschreibungen für Allgemeinmedizin-Stellen. Für zehn gab es nur je einen, für sieben Stellen gar keinen Bewerber”, rechnet (der Wiener) Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres vor. Selbst für Facharztstellen gebe es bereits Nachbesetzungsprobleme. Angesichts des enormen Bevölkerungswachstums der Stadt und der bevorstehenden Pensionierungswelle unter den Kollegen werde sich der Engpass in den nächsten Jahren noch dramatisch verschlimmern”, denn in Wien, so Szekeres im November, “sind von den ungefähr 1400 niedergelassenen Allgemeinmedizinern 340 älter als 61 Jahre, aber nur 19 sind jünger als 35 Jahre.”

 

Solchen Aussagen widerspricht die Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), Ingrid Reischl, die darauf verweist, dass Wien “im österreichweiten Vergleich über die höchste Ärztedichte (verfügt)” und es um “eine bessere Organisation des Angebots” gehe. Wobei auch Reischl auf die zur Verfügung stehenden Finanzmittel, die den Rahmen vorgeben, verweist.

Wenn jedoch gegenwärtig die Ordinationen von praktischen Ärzten und von Fachärzten oft schon heillos überfüllt sind, so stellt sich angesichts der Zahlen, auf welche die Ärztekammer verweist, die Frage, wie die Situation dann in einigen Jahren aussehen wird.

Aber auch in den Krankenhäusern sind die Zustände nicht gerade erfreulich, wie all jene berichten können, die schon mal in einer Spitalsambulanz mit langen Warteschlangen und langen Wartezeiten konfrontiert waren.

Tatsache ist zugleich, dass aufgrund einer EU-Richtlinie Ärzte und Ärztinnen in Krankenhäusern in einigen Jahren nur mehr höchstens 48 Stunden pro Woche arbeiten dürfen (gegenwärtig sind oft 70 Stunden die Realität und 72 Stunden pro Woche erlaubt). D.h. die Situation wird sich also auch in diesem Bereich weiter verschärfen. Will die etablierte Politik hier tatsächlich gegensteuern, so braucht es eine Ausweitung der Mittel für das Gesundheitswesen* und insbesondere zusätzliches Personal auf allen Ebenen – davon ist aber angesichts angeblicher knapper Kassen weder auf Bundes- noch auf Landesebene etwas zu sehen.

Ob daher die Qualität der medizinischen Versorgung auf dem existierenden Niveau erhalten werden kann, darf bezweifelt werden, da der Arbeitsdruck für die praktizierenden ÄrztInnen immer höher wird, während zugleich die Bezahlung der SpitalsärztInnen aufgrund der neuen Arbeitszeitrichtlinien sinken wird. Nun kann entgegnet werden, dass ÄrztInnen ohnedies sehr gut für ihre wichtige Tätigkeit entlohnt werden. Aber entspricht die Annahme, dass die „Götter in Weiß“ zu den Top-Verdienern im Lande gehören, der Realität?

Das Gehaltsschema für Ärzte in Ausbildung beim Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) begann laut Homepage der Wiener Ärztekammer  2012 bei 2.001,72 Euro brutto (also knapp 1.400 netto).**

OberärztInnen bzw. FachärztInnen verdienen laut offiziellen Darlegungen in der Gehaltsstufe 1 nicht einmal 3.000 Euro brutto, in der Gehaltsstufe 5 liegt das monatliche Brutto-Einkommen immerhin schon bei 3.762 Euro (= rund 2260 netto).

Primarii, also die Leiter einer ganzen Abteilung, bekommen auf Gehaltsstufe 1 knappe 5.200 Euro brutto, ärztliche DirektorInnen geringfügig mehr. Wobei: Um die Primarii braucht sich Mensch – so die Meinung von ExpertInnen – nur wenig Sorgen machen, denn diese haben sehr oft lukrative Nebenverdienste und zahlungskräftige und zahlungswillige Privatpatientinnen.

Ergänzend, und um das Bild abzurunden, sei angeführt, dass auch das Rettungswesen – auch in Wien – sich zur Zeit schon in argen Schwierigkeiten befindet. Aufgrund des Mangel an Notfallsärzten sind in Wien, so die Information gut informierter Kreise, schon gegenwärtig nur 1/3 bis 2/3 der eigentlich vorhandenen Notarztwagen besetzt. Dies führt – wie es bei Teufelskreisen der Fall ist – zu einer Überlastung jener Ärzte und Ärztinnen, die im Einsatz sind, und der Gefahr von Demotivation und “Burn-Out”. Weitere Folge: teilweise massiv verzögerte Arzteintreffzeiten bei Notfällen. Mittel- und langfristig wird sich die Situation, sofern nicht gegengesteuert wird, noch weiter verschlimmern, da die ständige Überlastung die Notfalls-ÄrztInnen im wahrsten Sinne des Wortes kaputt macht – mit natürlich auch katastrophalen Folgen für Notfalls-PatientInnen.
Zudem prophezeien die Bevölkerungsprognosen einer rasanten Anstieg der in Wien lebenden Menschen, womit eine weitere Verschärfung der Situation eingehen werden wird. KritikerInnen des Status Quo befürchten, dass die Wiener Berufsrettung schon gegenwärtig im Falle eines wirklichen Katastrophenfalls (Großbrand/Gebäudeeinsturz/Zugunglück/etc.) kapitulieren muss, da es an den notwendigen personellen Ressourcen fehlt.

Wien ist eine soziale Stadt, hier wird Solidarität gelebt – erklären sozialdemokratische SpitzenpolitikerInnen immer wieder. Gesundheits- und Sozialstadträtin Sonja Wehsely meint z.B.: “Wir können stolz darauf sein, dass alle Wienerinnen und Wiener unabhängig von Alter, Einkommen und sozialer Situation die beste medizinische Versorgung erhalten, und Pflege leistbar für alle ist.” Ob dieser Befund angesichts der Probleme stimmt, sei dahingestellt. Gewiss ist aber, dass sich die Situation verschärfen und verschlimmern wird, wenn die existierenden Probleme nicht angegangen werden. Doch dazu muss der Realität ins Auge gesehen werden.

Das Problem selbst mag komplex sein  – dass sich die Probleme ohne ausreichende finanzielle Mittel lösen lassen, darf aber bezweifelt werden.

Hans Huber

* Tatsache ist, dass das Budget für Gesundheit und Soziales in Wien für 2015 mit 3,64 Mrd. Euro veranschlagt ist – was auch eine deutliche Steigerung zu 2014 darstellt.  Die höheren Mittel fließen jedoch zu einem großen Teil in die Finanzierung des Großprojekts Krankenhaus Nord.

** Ab dem vierten Nachtdienst im Monat bekommen TurnusärztInnen weitere 374,46 Euro pro Dienst dazu. Ob das schwer nachvollziehbare Zulagen- und Nachtdienstentschädigungssystem nicht grundsätzlich überarbeitet werden sollte, ist Gegenstand von Debatten.

Zum Thema siehe auch

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